Tex Rubinowitz
Sind wir alle endlich glücklich?
04. April—18. Mai 2024
Tex Rubinowitz, Bachmann-Preisträger, Titanic-Cartoonist, Satiriker und brillanter Geist zeigt „Stickstoffe“ in der Galerie Melike Bilir. Wir treten ein in eine Traumwelt voller Sätze, die den Wahnsinn auf eine heilsame Spitze treiben. Es beginnt mit dem Titel der Ausstellung:
„Sind wir alle endlich glücklich?“
Musiknarr Tex Rubinowitz dachte fälschlicherweise immer, das sei ein Songtitel seiner Lieblingsband, der englischen Post Punk/Neo Psychedelia-Sensation Television Personalities von Mastermind Dan Treacy – weil es so gut passen würde. Und wie sagte der Hamburger Sänger Knarf Rellöm: „Fehler is King!“
Vielleicht spüren wir die im Titel angelegte latente Genervtheit, ein subtiles passiv aggressives Sich-unter-Druck-gesetzt-Fühlen durch ein permanent uneingelöstes Versprechen, einen allgegenwärtigen Imperativ des Glücks? Anhand der Tragik von Dan Treacys Leben, einer Geschichte von Verzweiflung, Aufbruch, Scheitern und Exzess, die mit einer Existenz im Pflegeheim vorläufig endete, wirft Rubinowitz allerlei Fragen auf, die unsere aller Rastlosigkeit und nagende Unzufriedenheit betreffen: Er beobachete „wie nahe dran Treacy an allem war, und dann doch immer wieder abrutschte“. Genau das soll sein Titel evozieren: „Ist man wirklich glücklich, wenn man glücklich ist? Bist du jetzt zufrieden? Kommst du jetzt endlich zur Ruhe?“
In seinem weiten Universum arbeitet Rubinowitz immer wieder mit Referenzen, um sein Netz zu flechten und auszuweiten und so ist der Titel außerdem eine Hommage an das Buch „Findet mich das Glück?“ des Schweizer Künstler Duos Fischli/Weiss, nachdem der Tod David Weiss‘ das Ende des Duos bedeutete. So kann ihr Werk „zumindest metaphysisch weitergeführt werden“, so Tex, der ganz im Sinne des frohen Forschens des Duos gleich eine ganz neue – streng wissenschaftliche – Definition des Begriffs Stickstoff liefert.
Stickstoff für Deine Seele!
In seiner unverkennbar idiosynkratischen Art gelingt Rubinowitz das Kunststück das ungeahnt Offensichtliche in seiner ganzen Offensichtlichkeit sichtbar zu machen. Eine Ideenfabrik in reinster und ursprünglichster Form, gleichermaßen organisch und artifiziell, erratisch unterhaltsam und gefährlich für unser Leben, denn das Einatmen der Stickstoffe macht etwas mit uns. An der Wand der Galerie Melike Bilir hängen viele Aphorismen, die Rationalität oder gewohnheitsmäßige Sätze zerstören, um auf deren Trümmern einen Neuanfang zu ermöglichen. Also circa 60 kleine Chancen unglücklich glücklich zu werden. Oder umgekehrt. „Vorwärts mit Umwegen“, um es mit dem Hamburger Underground-Filmer Peter Sempel zu sagen.
Die Stickstoffe dringen nadelspitz in unseren Organismus ein und richten heilsame Schäden an: Geradezu gemein ist, wie die Sätze sich als Allgemeinplätze tarnen, nur um die Erwartungshaltung tückisch zu unterlaufen. „Die Wäscheleinen waren früher straffer“ steht dort etwa. Oder sie vergiften uns mit reinster psychedelischer Synästhesie und der Frage „Welche Farbe ist heute?“. „Nachts im Park mit einer Salami“- ist das wirklich noch romantisch?
So feiert Rubinowitz die Ambivalenz mit einer munteren Flickschusterei für die Ewigkeit! Voller festgehaltener Dringlichkeit und Spontaneität. Die Arbeitsweise spiegelt dabei die Philosophie der Werke in ihrer ganzen schmutzigen Eleganz wider: mit der Nähmaschine arbeitet er so herrlich genialisch dilettantisch und lässt dem Zufall Raum, wie die Television Personalities in ihren besten Songs.
Am besten auf den Punkt bringt es der Künstler selber: „fröhliche Wissenschaft a la Fischli & Weiss trifft hedonistsiche Destruktion a la TV Personalities, Kollision mit der rumpelnden, ächzenden Nähmaschine umgesetzt in Stickstofftexte, aus meinem Unterbewusstsein gespeist.“
Das sollte zur Einstimmung genügen. Machen wir uns unser eigenes Bild, atmen wir Stickstoff für die Seele ein. (Text: Joachim Franz Büchner)
Die Galerie ist vom 11. - 20.04. 2024 geschlossen.
Öffnungszeiten: Do. und Fr. 15:00-18:00 & Sa. 13:00-15:00 und nach Vereinbarung